„ROM“ (2012)
Analyse einer Zertrümmerung
für 1 Sängerin (Alt), 1 Sänger (Altus), 1 Sprecher
4 Kanal Klaviertonzuspielung und Projektionen
Vorbemerkung:
Ich wähle bewusst eine historische Situation, die in die Jetztzeit übertragen, ein Spiegelbild unserer heutigen Zeit ergibt, in der viele Leute sich in esoterische, energetische oder sektiererische Organisationen begeben, um Glück und Lebenssinn zu suchen. In diesen Systemen einmal gefangen, gibt es kaum ein entrinnen, Unterdrückung und Ausgrenzung sind zumeist die Folge.
Inhalt:
In Anlehnung an eine Episode aus einem Kloster um 1850, wird hier eine mystische Thematik verhandelt, die den Menschen schon immer interessiert hat: Jenseits von Wissenschaft und Aufklärung, im Glauben an die Hilflosigkeit der menschlichen Existenz, nach Übermittlungen bzw. auch Übertragungen zu suchen, die aus sozusagen „jenseitigen“ Wahrheiten, Eingaben, „höherer Leitung“ heraus, ein Handlungskonzept für ihr geistiges Leben im Hier und Jetzt, möglicherweise zu erhalten.
Diese „Übertragungen“ können für die Organisationsstruktur, interne Machenschaften und Unterwerfungen missbraucht werden, ohne jede Nützlichkeit für Beteiligte außerhalb des Systems. Die Akzeptanz wird eingefordert, in diesem Fall Unterwerfung und Dienertum einer „Sehung“. Dem Zweifler drohen Repressalien wie Unterdrückung, Strafe, Ausgrenzung ständige Überwachung. Es wird alles unternommen ein Geheimnis, ein Geheimnis sein zu lassen.
Zur Komposition:
Meine Arbeit am Klavierklang wurde durch drei graphische Blätter von Edda Seidl-Reiter beeinflusst. Ihre Dekompositionen (Überschreibungen) von Marienliedern (2008 – 2011) gaben mir verschiedene optische Positionen. Mein Zugang ist keine Dekomposition eines vorgefundenen Materials, sondern eine Zertrümmerung, Materialzerteilung, oder besser ausgedrückt: ähnlich einem chemischen Prozess werden Bauteile freigelegt, welche durch vertikal-horizontale Manipulation wie Verschiebung, Dehnung oder vollständiger Isolation, zu anderen eigenständigen Essenzen und Formen generieren. Es entstehen neue Klangruppen die sich neu formieren oder miteinander, untereinander kombinieren, zu neuen Informationsträgern werden. Der Klavierklang ist bei diesem Projekt auch das „Umgreifende“ – das Haus, in denen sich die anderen Ebenen einfügen und der Resonanzraum zu einem verlängerten Raum als „Umgebung“ wird.
Der Klavierklang wurde einzeln aufgenommen und dann im Computer zur Komposition, zur klanglichen Situationen in drei Teilen gebaut. Durch die 4 Kanal-Realisation wird eine Raumsituation geschaffen innerhalb der sich Text und Gesang bewegt. Die Zuspielung ist nur bedingt Begleitung für die Stimmen, sondern steht als eigene dramaturgische Situation im Raum.
Die Stimmen sind die Träger der Handlung, einerseits ganz real durch die Zuordnung als handelnde Personen, anderseits der Gesang als irreale, emotionale, expressive Äußerung als Gegenpol zur Sprechstimme.
Die Gesangsstimmen von Alt und Altus sind im Handlungsablauf gedacht als Sinnbild einer Strenge. Die Personen sind dramaturgisch „engstehend“, deswegen auch die ähnliche Stimmstruktur und damit auch Strenge in musikalischer Struktur. Speziell ausgedrückt im erste Teil, der die Stimmeinsätze nach dem „Mollschen Gesetz“ (Klangdauer = Pausendauer) 9 Klangdauern ebenso vielen Pausendauern gegenüberstellt. Die Reihung erfolgte seriell durch Permutationen, dafür wurde die 3 – 6 Generation der Grundreihe ausgewählt. Die Teile 2 und 3 sind freier gestaltet, auf diverse „Objektivierungen“ habe ich aber nicht verzichtet, steht doch die Gesangsstruktur für eine „höhere Leitung“.
Die Sprecherstimme ist Erzähler, Handlungsträger, Betroffener und Zweifler. Die Textur ist zweigeteilt: 1. direkte Erzählung quasi als Rolle und 2. gedankliche Überlegungen, Philosophie, Wissenschaft, also innere Stimmen, die aus den Lautsprecherboxen zugespielt werden.
Die Idee der Projektion als Raumlicht, als unterstützendes und wiederum auch eigenständiges Bild, welches sich nur mit ganz langsamen Veränderungen in die Handlung einbringt, unterstützt die Handlungsstrenge. Speziell auch die Konfrontation der „Marienlieder-Dekompositionen“ von Edda Seidl-Reiter, mit den abstrakten Formen und Lichtbildern von Norbert Gruber sind ein weiterer dramaturgischer Effekt, der Beleuchtung nicht als Beleuchtung, sondern als Mithandlung sieht.
Die Komposition wurde vom Bundesministerium für Unterricht und Kunst gefördert.
Mitwirkende:
Bernadette Furch (Alt)
Bernhard Landauer (Altus)
Gerhard Greiner (Sprecher)
Norbert Gruber (Projektionen)
Werner Raditschnig (Klangregie)
Hörprobe 1:
Hörprobe 2: